Nach meiner ersten Regellektüre und einer solo simulierten Zweier-Testpartie war ich doch arg überrascht. In dem Bier & Brezel Boss-Battler steckt mehr Tiefgang drin, als es mit seiner Cuphead-Comic-Grafik und Slapstick-Stimmung den Anschein hat.
Stolze 36 Seiten im teils klein bedruckten A4-Format liegen vor mir. Es ist Wochenende und kurz nach Mitternacht. Also die ideale Zeit, mal eben noch in Townsfolk Tussle reinzuschnuppern. Schliesslich möchte ich die Chance wahren, es kurzfristig auf dem Tisch zu bekommen und dann auch erklären zu können. Ohne Testpartie im stillen Kämmerlein geht da bei mir wenig – ich muss ein Spiel in Bewegung sehen, um es ausreichend begreifen zu können. Das hilft wortwörtlich. Ansonsten drohen bei mir, im Rückblick einer rund 35 jährigen Brettspielkarriere als Viel- und Allesspieler, die tausenden Neuheiten zu einem Regelmatsch im Kopf zu werden.
Also aufgebaut und zwei Charaktere ausgesucht, die mich ansprechen. Der Lausbube Ludwig Knilch als klausüchtiger Nahkämpfer und die rüstige Revolverheldin Omma Melba sollten sich hoffentlich perfekt ergänzen. Welche Bösewichte auf mich warten, das ist hingegen Zufall. Allerdings habe ich nur den Ersten der Vier gesehen und knapp besiegt. Denn als plötzlich und unerwartet der Morgen dämmerte, habe ich meine Lern- und Testpartie dann doch vorzeitig mit einem fortwährenden Schmunzeln auf dem Gesicht abgebrochen.
Was ich allerdings bis dahin erlebt habe, das war bemerkenswert und hatte ich so in der Form nicht erwartet: Auf den zweiten Blick schrumpft das Regelwerk von 36 Seiten zwar auf die Hälfte zusammen. Der Rest davon ist Aufbau, Story, FAQ, Begriffsdefinitionen und Übersichten. Trotzdem sind es die Details, die wichtig sind. Mal eben nur querlesen ist hier nicht, denn zu gross die Gefahr, bekannte Spielmechanismen aus anderen Monster-Metzlern einfach und vorschnell zu übernehmen. So gibt es hier zwar Sichtlinien, aber nur im Fernkampf und nur für unsere Dörfler und zudem begrenzt auf Hindernisse, die genauso bezeichnete Objekte auf dem Spielplan sind. Auch kommt es immer zum „Nachspiel“, eine Phase des Bösewicht-Zuges, wenn das Ziel mindestens einen Schaden hinnehmen musste. Zwei Details von einigen mehr, die ich mir schlicht merken muss.
Der Kampf gegen Nönigin & Könich war taktisch fordernder als zunächst gedacht. Bier & Brezel ja, aber eher auf der optischen und situativen Ebene, vermittelt durch die tollen Illustrationen, witzigen Kartentexte und den daraus resultierenden Slapstick-Humor in Cuphead-Optik. Nur hätte ich mich fast davon blenden lassen, mich in dauerschmunzelnder bester Laune auf gute „klappt schon irgendwie“ Würfelwürfe verlassen und dann gemerkt, dass ich vom Brett gefegt wurde. Lausbube Ludwig Knilch war da ein schnelles und erstes Opfer, wurde in einer Hütte wiederbelebt, nur um danach direkt wieder zu sterben. Tragisch, aber auch irgendwie komisch.
Ich hatte mich von der Slapstick-Stimmung berieseln lassen, habe viel zu passiv agiert, weder die vorhandenen taktischen Möglichkeiten durch Geländebesonderheiten, Ausrüstung und Fähigkeiten gesehen und stand deshalb kurz vor der Niederlage. Aber Omma Melba konnte das Blatt mit ihrem rostigen Revolver und dank einer Bärenfalle noch wenden. Schnapp und ab.
Nönigin & Könich waren schliesslich besiegt, es gab epische Momente und tolles Kopfkino. Nur unterbrochen durch den vorzeitigen Sonnenaufgang. Da hatte die Regellektüre, das Nachschlagen von Details (zum Beispiel: Wer ist das Ziel, wenn es zwei gleichwertige gibt? Es wird ausgewürfelt.), die hier unerwähnte Ausrüst- und Kaufphase mit Namen „Shoppen“ sowie der allererste Kampf mit Namen „Kloppen“ hat dann doch länger gedauert als zunächst gedacht. War dabei aber weder langweilig noch langatmig von mir empfunden.
In Townsfolk Tussle steckt viel mehr an Spieltiefe drin, als es zunächst mit „hinlaufen und draufhauen“ den Anschein hat. Diese Möglichkeiten muss man allerdings auch sehen und finden wollen und dann seine verbesserten Chancen für coole Aktionen ausnutzen. Ansonsten könnte das Spielgeschehen verflachen, doch nur vom Würfelglück abhängen und somit zu seicht und beliebig werden. Wer nicht in diese Falle tappt, für den kann ich dieses doch besondere Kennerspiel absolut empfehlen. Kein Kingdom Death Monster Klon oder Killer, sondern etwas ganz Eigenständiges und das ist auch gut so. Probiert es einfach selbst aus, wenn Ihr die Möglichkeit dazu habt.