Der Hype war groß und die Neuheit der SPIEL 24 noch schneller ausverkauft. Im Vorfeld der Messe von Shut Up & Sit Down als „the Year’s COOLEST Game“ angepriesen und andere Brettspiel-Influencer stimmten diesem Höhenflug zu. Meine Erstpartie brachte das Kartenspiel zurück auf den Boden meiner Realität.
Rein optisch sieht Compile wirklich cool aus, so wie es vor mir auf dem Tisch steht. Stylisch, futuristisch und in seiner gewählten Schlichtheit für mich ansprechend. Eine pechschwarze aufrecht ragende Box mit einem schräg verlaufenden türkis leuchtenden Streifen. Elektrische Verbindungen sind angedeutet und lassen bei mir den Eindruck aufkommen, auf ein Stück hoch entwickelte Technik zu blicken. Ein Computerkern oder irgendetwas aus der Zukunft oder so.
Damit ist auch gleichzeitig das Thema gesetzt. Wir sind eine so bezeichnete „Rogue KI“ im direkten Duell um die Vorherrschaft. Systeme von künstlichen Intelligenzen, die sich gegen die Interessen ihrer Schöpfer richten und gegen die gesamte Menschheit handeln. Schöne neue Welt und gleichzeitig am Puls der Zeit. Eventuell reichte das schon aus, um den Spielernerv zu treffen und den Hype zu erzeugen.
Eine einzige A4-Seite erklärt uns die Spielregeln. Doppelseitig und aufgrund des Schachtelformates klein gefaltet. Selbst lesen brauchte ich die allerdings nicht, denn Compile wurde mir von einem Brettspiel-Freund entspannt erklärt. Zum Glück, denn hinter dem Thema versteckt sich die Spielmechanik. Die ist allerdings begrifflich so stark mit dem Thema verwoben, dass ich zunächst wenig verstand. Nicht ohne Grund listet die Spielregel die wichtigsten Schlüsselbegriffe auf und beschreibt so, was mit „Clear Cache“ oder „Protocol“ gemeint ist.
Hier zeigte sich für mich dann auch, dass der Autor Michael Yang das Thema vor der Zugänglichkeit priorisiert hat. Beispiel gefällig: Die Zugübersicht liegt nur einmal dem Spiel bei, weil die ist zeitgleich auch der Anzeiger für die Kontrolle. Ein Zustand, der einem spieltechnische Vorteile bringt. Auf der Zugübersicht ist der Schritt „Check Cache“ beschrieben. Wer mehr als fünf Handkarten hat, muss „Clear Cache“ ausführen, was die Kartenhand schlicht auf fünf Karten reduziert. Im Spiel bewegen wir uns immer auf dieser thematischen Ebene, was zwar der Spielatmosphäre dient, allerdings musste ich diese gedanklich immer wieder durchdringen, um zu begreifen, was das spielmechanisch überhaupt bedeutet.
Kein leichter Einstieg, aber einfach möchte Compile auch gar nicht sein. Wer zielgerichtet anstatt zufällig spielen will, sollte nicht nur sein Kartendeck kennen, sondern auch die Möglichkeiten des Mitspieler-Decks. Aus 12 Themendecks wählen wir zu Spielbeginn jeweils drei „Protocols“ aus und ordnen die direkt einer der drei „Lines“ zu. Das passiert interaktiv abwechselnd, sodass wir direkt auf die Auswahl und Zuordnung unseres Mitspielers reagieren können und sollten. Wenn „DEATH“ auf der Gegenseite gewählt wird, sollte ich dann besser mit „LIFE“ oder doch lieber „DARKNESS“ kontern? Wir haben eher spontan und thematisch ausgewählt, denn die Kurzbeschreibung „FLIP TOP DECK PLAY DRAW“ klang zumindest für mich im Erstkontakt noch zu kryptisch, um das spielmechansich entschlüsseln zu können.
Abwechselnd spielen wir dann eine Handkarte aus, verstärken so eine unserer drei ausliegenden Kartenreihen und versuchen nicht nur mehr als 10 aufsummierte Punkte dort zu erreichen, sondern auch mehr als die Reihe des Mitspielers. Das versetzt uns in die Lage, zu Beginn unseres nächsten Spielzuges diese Reihe zu gewinnen und die Mitspieler-Reihe abwerfen zu lassen. Unser Mitspieler hat also immer die Möglichkeit, noch zeitig zu reagieren, sofern eine einzige Karte dazu ausreicht. So funktioniert dieser „Lane Battler“.
Klingt doch ganz einfach, oder? Tja, nur dann kommen die Karteneffekte. Jede Karte hat bis zu drei davon. Eine passive Fähigkeit, die immer gilt, wenn die Karte offen gespielt wird. Eine sofortige Fähigkeit, die nur dann ausgeführt wird, wenn die Karte ausgespielt oder auf ihre offene Seite gespielt wird oder eben nicht mehr von einer anderen Karten in der Reihe verdeckt wird. Und schließlich noch eine Fähigkeit, wenn diese Karten offen als letzte Karte in einer Reihe liegt.
So können Kettenreaktionen von Fähigkeiten entstehen, die entweder chaotisch wirken oder genau so gewollt, weil geplant waren. Um das Chaos zu bezwingen, braucht es allerdings Spielpraxis. Und dann bleibt die Frage, ob man von seinen drei vorab gewählten Decks mit jeweils sechs Karten überhaupt die fünf auf die Hand bekommt, mit denen man solche Pläne umsetzen kann. Womit der liebe Mitspieler kontern kann, wissen wir auch nur unzureichend. Wer die Themendecks alle kennt, durch ausreichende Spielpraxis oder schlichtes Auswendiglernen, der weiß zwar, welches Fähigkeitenpotential dort drinsteckt. Ob dieses allerdings jetzt gerade auf der Mitspielerhand auch versammelt ist, bleibt ungewiss.
Genau das bringt die Spannung ins Spiel und ist zeitgleich die eigene Herausforderung, das möglichst Beste aus der aktuellen Situation zu machen. Pläne vorauszuahnen und zeitig zu kontern. Überraschend zu agieren, in dem man Karten erst verdeckt ausspielt, nur um diese dann später durch eine andere Kartenfähigkeit aufzudecken und auszuführen. Am Ende kann eben nur einer gewinnen in diesem Kartenduell.
Für mich persönlich ein stylisches und interessantes kleines Kartenspiel. Allerdings begrenzt auf genau zwei Spieler, die dann auch den Anspruch haben sollten, in Compile einzutauchen und es durch unzählige Partien in seinen vielfältigen spielerischen Möglichkeiten zu vertiefen. Das trifft meine Spielwirklichkeit nicht ganz, weil ich aktuell eher mit vielen wechselnden Mitspielern und auch eher in größeren Runden spiele. Ein weiteres Zweipersonenspiel wäre für mich da genau eines zu viel.
Wer allerdings komplex werdende Duellspiele mag und auch die ausreichende Spielzeit dafür findet, dem sei Compile ausdrücklich empfohlen. Zurzeit ist die dritte Auflage bei Greater Than Games in Produktion und bringt etliche Korrekturen und Klarstellungen mit. Die offizielle FAQ umfasst derzeit elf Seiten. Die deutschsprachige Version wurde derweil auf der Spielwarenmesse 2025 in Nürnberg angekündigt und soll im Juli 2025 bei Pegasus Spiele als Kennerspiel veröffentlicht werden. Wie gut die Lokalisation dann geworden ist, wird sich zeigen.
Ich persönlich hätte mir statt der vielen Kartentexte, die ich auf der Mitspielerseite kaum überblicken kann, lieber eine klare und ausreichend groß gedruckte Symbolsprache gewünscht. Aber damit ist wohl nicht zu rechnen. Schade eigentlich. Optimierungspotentiale in der Zugänglichkeit von Compile sehe ich viele, aber auch so wird das Spiel seine Fans finden.