Wir schreiben Geschichte nach. Schachgeschichte, um genau zu sein. Dabei ging es damals im Sommer 1972 um weit mehr als nur die Weltmeisterschaft. Mitten im Kalten Krieg bekam das Sportereignis auch eine politische Ebene – der Kampf zweier Systeme. Wir erleben diesen Nervenkrieg am Spielbrett wieder.

Der Verlag Deep Print Games war ganz schön mutig, ihre 2023er-Neuheit „Match of the Century“ zu nennen. Der Untertitel „Spasski gegen Fischer“ verrät Eingeweihten wohl, dass es hier um Schach geht. Nicht einfach nur um Schach, sondern um diesen besonderen Titelkampf. Die Schachtelillustration zeigt ein Schachbrett, wobei die Figuren in Hellblau und Rot eher untypisch sind. Nur wer genauer hinschaut, kann in den Spiegelungen der Felder die beiden Kontrahenten Bobby Fischer und Boris Spasski erkennen. Erst die Schachtelrückseite listet uns alle spielrelevanten wie thematischen Details auf.

Auf Boardgamegeek ist das Zweipersonen-Duell aktuell auf Rang 1198 der Strategiespiele zu finden. Nur einen Platz hinter dem spielmechanisch entfernt vergleichbaren Compile. Und nur sechs Plätze entfernt von Schotten Totten 2 vom Altmeister Reiner Knizia. Spiele der „Lane Battler“-Familie haben es nicht einfach auf dem Brettspielmarkt. Eventuell auch, weil man meinen könnte, dass die doch alle irgendwie gleich sind.

Das meinte ich auch, bis ich dann Anfang 2025 „Match of the Century“, vom Autor Paolo Mori erdacht, erstmalig mitgespielt habe. Die gut 15 Monaten dazwischen hatte ich das Spiel bisher auf keinem Spieltisch gesehen und selbst völlig ignoriert. Eindeutig ein Versäumnis von mir.

Aber konkret zum Spiel, um das es hier geht: Das Thema Schach ist bei „Match of the Century“ nicht wegzudenken. Es ist fest mit seinen Spielmechaniken verbunden und die WM-Partien zwischen Spasski und Fischer halten das alles zusammen. Dabei spielen wir hier überhaupt kein richtiges Schach, sondern simulieren stattdessen auf der Meta-Ebene den Nervenkampf der beiden Kontrahenten. Wer zuerst sechs der WM-Partien gewonnen hat, der gewinnt den Wettkampf. Und das, ohne überhaupt Schach in seiner taktischen wie strategischen Tiefe kennen und können zu müssen.

Das Spielgeschehen ist in packenden und teils dramatischen 30 bis 45 Minuten über die Bühne gebracht. Denn wir spielen in einer WM-Partie nur kurze, aber intensive Züge auf vier Angriffslinien. Unser Potenzial sind unsere Handkarten und nur eine davon kann pro Angriffslinie ausgespielt werden. Den Zahlenwert der Karte können wir mit bis zu zwei Bauernfiguren aus unserem Vorrat verstärken. Der liebe Mitspieler muss direkt kontern. Wer dann höher liegt, der gewinnt diese Angriffslinie, die einen bis vier Vorteilspunkte einbringt. Sind alle vier Angriffslinien bespielt oder wenn jemand vorab in Sachen Vorteilspunkte nicht mehr einzuholen ist, ist diese eine WM-Partie gewonnen und man selbst dem Sieg des Wettkampfs näher.

Soweit so gewöhnlich. Wir vergleichen also durch Figuren modifizierte Kartenwerte. Ja toll. Das Grundprinzip kennen wir doch schon aus Schotten Totten. Drei Kniffe machen „Match of the Century“ allerdings besonders und für mich überhaupt erst erwähnenswert:

Wer bei einer Angriffslinie unterliegt, ob freiwillig so gespielt oder weil es die eigene Kartenhand nicht anders hergab, der darf den Aktionstext seiner gespielten Karte ausführen. Die Auswirkungen können enorm sein, von neuen Handkarten und neuen Bauern bis zur Verbesserung seiner mentalen Ausdauer und mehr. Ebenso kann auch der Gegner von diesen Effekten betroffen sein. Oder der Vorteilsmarker wird unabhängig vom Ausgang des Angriffslinien-Duells bewegt. Ganz fies ist, wenn der Vorteil des Angriffs nicht vergeben wird. Übel, wenn es um volle vier Vorteilspunkte ging, die mentale Ausdauer absinkt und dafür hohe Karten und maximal viele Bauern gespielt worden sind – für nichts.

So kommen wir zum Kniff Nummer 2: Der mentalen Ausdauer. Die bestimmt, wie viele Handkarten wir für die nächste WM-Partie zur Verfügung haben und um wie viele Bauern wir unseren Vorrat aufstocken dürfen. Wer Angrifflinien bewusst abschenkt, um den Gegner mentale Ausdauer zu rauben und sich selbst mental stärkt, kann selbst gehörige Rückstände noch aufholen. Hier solltet Ihr geschickt haushalten, sonst sieht es später arg übel für Euch aus. Selbst so erlebt, als ich in Führung lag, innerlich schon jubelte, aber mental völlig am Boden nur noch wenig reißen konnte. Ich konnte mich zwar noch aus diesem mentalen Loch zurückkämpfen, aber verlor schließlich die entscheidende letzte WM-Partie. Ganz knapp in meiner Erinnerung.

Doch der Kniffe nicht genug. Jede Handkarte hat ihren Zahlenwert – oben in Weiß und unten in Schwarz. Eine schwarze 5 ist super, hat aber auch eine weiße 1 aufgedruckt. Und wie beim Schach üblich, wechselt nach jeder WM-Partie die gespielte Farbe. Wir können dann überlegen, ob wir die bisher ungespielte 5, die nun zur 1 geworden ist, nicht doch abwerfen oder lieber mitschleppen, bis die Karte wieder zur 5 geworden ist in der WM-Partie danach. So kann aus einer guten restlichen Kartenhand eine echt miese werden oder umgekehrt. Unser Kartendeck zur richtigen Zeit passend zu spielen, das ist eine Herausforderung für sich. In meiner Erstpartie habe ich einfach viel ausprobiert, anstatt mich in theoretischen Überlegungen totzugrübeln. Die Erkenntnis kam dann im Spiel, was ich wie besser machen kann.

In „Match of the Century“ steckt spielerisch eine Menge drin. Wenn Ihr zudem dem Thema Schach auch nur halbwegs verbunden seid und die Historie um Spasski gegen Fischer kennt, dann gewinnt dieses Kartenduell nochmals mehr an Spielspaß. Eben, weil es auch thematisch trägt und Euer Kopfkino flimmern lässt. Eine Revanche nehme ich gerne an.

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