Zwischen Sieg und Niederlage liegen oft nur winzige Details. So auch in meiner zuletzt gespielten Partie des Amitrash-Evergreens. Für das Genre fast schon untypisch, braucht es eine Menge an Vorwissen, um seine Überlebenschancen zu erhöhen. Wer diese Hürde meistert, erlebt ein atmosphärisches Kopfkino der Extraklasse mit Erinnerungswert.
Nemesis von Awaken Realms ist schon ein besonderes Spiel. So bietet es klaustrophobisch-düstere Alien-Atmosphäre am Bord des gleichnamigen Raumschiffes. Durch seinen semi-kooperativen Ansatz ist die Paranoia ständiger Begleiter. Schließlich könnte die Ärztin dort einen Korridor hinter mir meine ärgste Widersacherin sein. Anstatt meinen Rückweg von dem Alien-Nest voller schleimiger Xenomorph-Eier abzusichern, könnte sie, mit nur einer Aktion, meinen Fluchtweg durch eine sich plötzlich schließende Tür versperren und mich alleine zurücklassen. Überleben ist in Nemesis alles und Grundvoraussetzung für den persönlichen Sieg.
Genau dieses eine Detail hatte ich leider so völlig übersehen. Überleben ist halt Pflicht. Selbst wenn man sein persönliches Ziel längst erfüllt hat, gilt es bis zum Spielende noch am Leben zu bleiben. Meine letzte Partie lag schon einige Jahre zurück und die gemeinsame Regelauffrischung war wohl in falscher Selbstüberschätzung doch zu oberflächlich. Mein Schicksal war damit längst besiegelt, bevor die Spielpartie begann. Nur wusste ich das nicht.
Ich startete als Wissenschaftler in unsere Fünferrunde und sollte sicherstellen, dass wir mindestens zwei Xeno-Proben sammeln würden. Ein Geheimauftrag. Das war fix erledigt, da ich die passende Zutat für mein mobiles Labor mit ganz viel Glück schon im zweiten Raum gefunden hatte. Also wieder zurück zur Kryokammer, weil dort lag seit Spielbeginn ein Leichnam und nötig, um meine erste Xeno-Probe zu sammeln. Erneut schlug das Glück zu, als meine Mitspieler das verlassene Nest der Königin entdeckten, dort ein Xeno-Ei einsammelten und zum aufgedeckten Labor-Raum in nächster Nähe brachten.
Mission für mich erfüllt. Fast schon zu einfach. Eben noch sichergestellt, dass der richtige Kurs zu Erde im Steuercomputer einprogrammiert war und zurück in den willkommenen Kälteschlaf. Nur da schlug dann die typische Nemesis-Paranoia zu. Ich ließ einem meiner Mitspieler den Vortritt in die Kryokapsel, damit der nicht doch noch in meiner Abwesenheit den gesetzten Kurs ändern konnte. Als ich dann selbst dort die Spielpartie für mich siegreich beenden wollte, wurde ich von einem Alien überrascht, was mit nur noch einem Schuss Munition fast schon mein Todesurteil war. Egal, dachte ich mir, ich habe doch meine Mission erfüllt und damit wäre alles gut. Überleben wäre nur mein Sahnehäubchen gewesen.
Vorab hatte ich zweifach in der deutschsprachigen Spielregel nachgeschlagen, um mich zu bestätigen, dass mein Überleben zweitrangig wäre. Von der Pflicht, überleben zu müssen, stand dort unter dem Kapitel „Ziele“ nichts. Zudem bestätigte mich meine Missionskarte, weil dort stand, dass die wissenschaftliche Erforschung der Xenos wichtiger sein als der Einzelne. Das war allerdings nur Flavortext, stimmungsvoll, aber ohne spielmechanischen Wert. Schade, weil dieses Missverständnis hat das Spielende unserer Partie in Folge unnötig lange hinausgezögert, weil ich ab da verhindern wollte, dass die gesammelten Proben zerstört werden und weniger, was mit mir selbst passiert.
Als einem Mitspieler dämmerte, dass ich wohl dieses eine Regeldetail übersehen hätte und klarstellte, hatte ich nur noch die Überlebenschance über eine der Rettungskapseln. Mir fehlte dazu allerdings die Schlüsselkarte. Die sollte in einem der Kartenstapel sein. Also Fokus auf Räume durchsuchen gelegt und mehrfach in dem falsch erinnerten Stapel „Gegenstände“ gesucht. Ich hätte dort ewig oft suchen können, denn nach Spielende stellte sich heraus, dass die Schlüsselkarte unter „Waffen“ zu finden wäre. Es war dort die dritte Karte von oben und damit in realistischer Suchfolge.
Die zweite und scheinbar letzte Möglichkeit, die Rettungskapseln zu öffnen, wäre das vorzeitige Ableben eines Mitspielers. Das hätte den Notfall an Bord ausgelöst und alle verbliebenen Rettungskapseln entriegelt. Weshalb ich neben meiner Schlüsselkarten-Suche versuchte, alles dafür zu tut, dass diese schmutzige Arbeit durch die Aliens erledigt werden würde. Das trug nicht gerade dazu bei, die Hilfsbereitschaft meiner Mitspieler-Charaktere zu erhöhen. Absolut verständlich und im Sinne des Spiels nachvollziehbar. Hätte ich genauso gemacht.
Dass es noch eine dritte Überlebenschance gegeben hätte, in dem einer von uns den Raum zur Lukensteuerung gefunden hätte, mit dem man die Rettungskapseln aus der Ferne verriegeln und ebenso entriegeln kann. Daran hat nur keiner gedacht, dass es diese Option gegeben hätte. Am Ende hat mich eine Larve vorzeitig getötet und meine Nemesis-Erfolgsgeschichte beendet. Trotz meiner Missverständnisse, Fehlinterpretationen und unzureichender Übersicht der möglichen Optionen, weiterhin ein atmosphärisch dichtes Spielerlebnis.
Immer wieder gerne. Nur dann mit ausgedruckten Kurzübersichten der Räume, der möglichen Aktionen und Gegenstände. Das könnte enorm helfen, Nemesis ein wenig zielgerichteter zu spielen, denn Chaos gibt es auch so schon genug. Und zu viel Chaos fühlt sich am Ende ein wenig wie Willkür an und willkürlich sollte eine Partie Nemesis trotz aller Zufallskomponenten nicht sein. Auch wenn Nemsis ein Amitrash-Spiel ist, seine spielmechanischen Möglichkeiten sollte man schon kennen oder zumindest griffbereit und übersichtlich aufgelistet haben. Dann klappt es demnächst auch mit dem Überleben des eigenen Spieler-Charakters.