Kooperation und Kommunikation sind bei der SPIEL 2024 Neuheit von HABA die Schlüssel zum Erfolg und zum gemeinsamen Spielspaß. In meinen Spielrunden haben wir die scheinbar verlassene Pazifikinsel längst vollständig erkunden, sodass ich nun mein Fazit ziehe. Das fällt gemischt aus, wenn ich alle Perspektiven berücksichtige.
Vier Blickwinkel auf ein gemeinsames Szenario. Aus allen Himmelsrichtungen gesehen. Mal näher dran, mal weiter weg und auch die Höhenstufe ist jeweils anders. Das erklärt dann auch, warum wir und anfangs so missverstanden haben. Beispiel gefällt, ohne Spoiler aufs Spielgeschehen und deshalb rein fiktiv: „Das blaue Auto da. Neben dem großen Baum. Wie Du sieht da keinen Baum?“
Das ist Point of View Lost Places von HABA. Der erste, aber eigenständige Teil der Point of View Serie. Auf der SPIEL 2024 vorgestellt und inzwischen gibt es mit Spooky Festival den zweiten und ebenso eigenständigen Teil im Handel. Der soll sich laut den ersten Rückmeldungen auf Boardgamegeek die Kritikpunkte seines Vorgängers zu Herzen genommen haben und einiges besser machen. Aber hier soll es ausschließlich um Lost Places gehen, weil nur das habe ich inzwischen in meinen wechselnden Spielrunden durchgespielt.
Point of View Lost Places lehrt und lernt uns nicht nur miteinander zu sprechen, uns gegenseitig zu informieren und auszutauschen. Sondern auch, die anderen Mitspieler zu Wort kommen zu lassen. Geduldig sein und nicht zu verzweifeln, wenn einer am Tisch etwas anders oder auch nicht sieht. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Niemand kann sich aus dem Spielgeschehen ziehen, weil jeder einen ganz persönlich exklusiven Blickwinkel hat, der für alle in der Spielrunde wichtig ist.
Wer sich allerdings zurücklehnt, das Spiel zu oberflächlich oder abgelenkt mitspielt, kann die Erwartungshaltung der Mitspieler brechen. Schließlich könnt Ihr das Spiel nur ein einziges Mal durchspielen. Danach sind Euch die Antworten bekannt oder bleiben zumindest halb erinnert im Gedächtnis. Zudem kennt Ihr nach allen vier Kapiteln auch alle Blickwinkel. Habt das Geschehen von allen vier Seiten gesehen, denn nach jedem Kapitel werden die Himmelsrichtungen durchgewechselt.
Zwar könnt Ihr Point of View auch mit wechselnden Mitspielern erleben. Zu Beginn jedes Kapitel gibt es sowieso eine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse. Aber eben nur als Zusammenschnitt, bei denen viele Details und noch mehr gemeinsame Spielmomente fehlen. Im Idealfall also bevorzugt in selber Konstellation alle vier Kapitel spielen. Wenn es hingegen im ersten Kapitel bei Einzelnen von Euch nicht zündet, dann lieber in anderer Runde die folgenden Kapitel angehen. Nur so halb motivierte Mitspieler funktionieren hier nicht und rauben Euch Nerv und Spielspaß.
Ganz wichtig: Setzt Euch nicht zu sehr unter Druck. Das nimmt dem Spiel die Leichtigkeit und lässt es weniger Spiel und mehr Prüfung werden. Dieser Hinweis fehlte in der Anleitung von Lost Places und wurde im zweiten Spiel der Serie aufgenommen. Bei Spooky Festival heißt es wörtlich: „Point of View soll in erster Linie Spaß machen. Seid ihr bei der Beantwortung von Fragen unsicher? Dann rätselt nur so lange weiter, wie es sich für euch gut anfühlt. Bevor Frust aufkommt, geht einfach zur nächsten Karte über, lest die richtige Antwort laut vor und nehmt die nicht beantwortete Frage in Kauf.“
Genau deshalb sehe ich Lost Places an der kritischen Grenzlinie zwischen Abenteuer auskosten und deshalb nicht zu früh aufgeben wollen sowie persönlicher Überforderung, weil die Frage der aktuellen Rätselkarte zu sehr und intensiv in die Länge gezogen wird. Oftmals liegt die Last, etwas zu erkennen und finden, bei einem einzelnen Spieler. Wer es dann nicht sieht oder übersieht, der kann sich als „der Doofe“ fühlen oder von seiner Spielrunde in diese Rolle gedrängt werden. Lasst dieses Gefühl erst gar nicht aufkommen.
Vier Kapitel mir jeweils 40 Rätselkarten liegen vor uns. Mir persönlich waren das allerdings zu viele Zählrätsel. Fiktive Beispiele: „Zähle alle gestrandeten Kisten auf der Insel. Zähle alle grauen Mäuse auf der Insel. Zähle alle Personen, die nach Westen schauen.“ Anfangs noch interessant, weil eben jeder etwas anders sieht oder eben auch nicht und nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In der Wiederholung wurden diese Art von Rätsel aber eher anstrengend bis nervig, weil als Fleißaufgabe anstatt gemeinsamer Rätselspaß empfunden.
Das teils hohe kreative Niveau der Rätselfragen konnte über die 4x 40 Karten nicht durchgehalten werden. Es gab bei uns immer ein paar Durchhänger-Rätsel, die sich eher danach anfühlten, die Spielzeit zu strecken. Da wir aber eher zu genau und teils übermotiviert unterwegs waren, haben wir die angedachte Spielzeit von 60 Minuten pro Kapitel locker um das Doppelte gestreckt. Längeres Spiel ist damit nicht unbedingt längerer Spielspaß, sodass wir fast froh waren, endlich ein Kapitel abgeschlossen zu haben. Für solche Spielrunden empfehle ich deshalb eine fest verordnete Durchschnaufpause nach 20 der 40 Karten eines Kapitels.
Zur Story selbst möchte ich Euch nichts vorwegnehmen. Anfangs noch nachvollziehbar und spannend, nahm die im weiteren Verlauf doch teils arg abenteuerliche Wendungen und wurde auch etwas wirr bis aufgesetzt. Erwartet keinen ausgeklügelten Sherlock Holmes Fall, sondern eher rasantes Actionkino mit viel Popcorn-Spaß, packenden Höhepunkten, aber auch teils eher langweiligen Stellen.
Ihr habt zudem die Wahl: Mit der App lassen sich alle Rätselkarten vorlesen. Leider wurde hier eine KI-Stimme eingesetzt, sodass an manchen Stellen die Betonung etwas seltsam klingt. Ein professioneller Sprecher wäre schöner gewesen, aber wohl zu teuer. Im Zweifel lest Euch die Rätselkarten einfach selbst gegenseitig vor. Dann braucht es auch kein Smartphone am Tisch und Ihr könnt Euch Eurer Umgebung und deren Geräuschkulisse besser anpassen. Ich empfehle eh eine ruhige Umgebung, weil Ihr nicht nur der Story folgen wollt, sondern Euch auch untereinander entspannt austauschen wollt. Das bedingt schon das Spielprinzip.
Ach ja, sorgt unbedingt für allerbeste Ausleuchtung und nutzt Eure Lesebrillen, sofern vorhanden und benötigt. Falscher Eitel ist hier fehl am Platz. Denn Euer Sichtschirm erzeugt Schatten und bei zu wenig Umgebungslicht können kleine Details allzu schnell farblich versumpfen und damit unerkennbar werden. Ein fiktives Beispiel: Wenn Ihr nach einem Messer sucht und eine metallisch leuchtende Klinge erwartet, das Objekt aber halb versteckt im grafischen Schatten eines Baumes liegt und eher schwarz statt silbergrau ist, dann hilft ausreichendes Licht auf Euren Sichtschirm schon enorm.
Ein Problem ist die vom Verlag gewählte Darstellungsart. Die ist eher plakativ comichaft geraten und das in einer Druckauflösung die gerne höher hätte sein können. Einige Details waren für mich nur auf den zweiten Blick oder auch gar nicht zu erkennen, sondern nur zu erahnen. Das war dann immer schade für den Spielablauf, wenn wir eigentlich die Antwort wussten, aber unklar war, ob die grob pixelige Illustration der Insellandschaft überhaupt das Gesuchte darstellte. Hier besteht noch Optimierungspotential für HABA.
Was bleibt? Mit Point of View Lost Places habe ich ein außergewöhnliches Spielprinzip erlebt. Die Verbindung aus Wimmelbilder mit eigener Perspektive ist originell. Da jeder etwas anderes sieht und oftmals nicht alle den freien Blick aufs Geschehen haben, sind vorlaute Alphaspieler, die das Spielgeschehen an sich reißen, hier nicht möglich. Wild durcheinander reden, das funktioniert aber ebenso wenig. Zuhören können ist hier die Kunst. Somit fast schon auch ein Sozialexperiment, ob Ihr dieser Teamherausforderung gewachsen seid. Sofern Ihr nicht übertreibt in Eurem Eifer und Ehrgeiz und Euch nicht selbst überspielt, ein durchaus empfehlenswertes Spiel und einzigartiges kooperatives Erlebnis.
Point of View ist bei uns mit unseren Jüngsten (8 und 10) gut angekommen. Tolles Spiel. An ein paar Stellen etwas brutal. Stichwort „Unfälle“. Haben die Karten vorgelesen und konnten das abmildern.