Wer hat an der Uhr gedreht? Dabei haben wir doch gerade erst angefangen und wollten locker bis zum Abendessen fertig sein. Die laut Schachtelaufdruck und eigener Schätzung angepeilten gut zwei Stunden für Men-Nefer hatten wir längst übertroffen, inzwischen sogar verdoppelt. Wo bitteschön ist die Zeit geblieben? Gibt es eine nachvollziehbare Erklärung für dieses Phänomen?

Ja klar, wir könnten jetzt neunmalklug damit anfangen, darüber zu philosophieren, dass doch schon Einstein die Zeit als relativ bezeichnet hat. Dabei meinte er in einem ganz anderen Kontext etwas ganz anderes. Aber Zitate sind toll und noch besser, wenn wir unsere eigene Darstellung damit schmücken und scheinbar aufwerten können. Also zurück zum Boden der selbst erlebten Tatsachen. Erst letztens habe ich dieses Phänomen wieder beim Eurogame-Optimierspiel Men-Nefer erlebt, trotz oder gerade wegen unserer entspannten Viererspielrunde.

Der Spielaufbau von Men-Nefer mit seinen vielen Komponenten ist etwas umfangreich. Genau wie die Erklärung des Regelwerks, denn es gibt eben nicht nur drei Spielphasen, sondern auch noch fünf Wege im Haus des Lebens, in dem wir als Kernmechanik unsere Lehrlinge einsetzen, weiterbilden und uns neue Aktionsplättchen besorgen. Jeder dieser Wege hat eine Vielzahl von Symbolen, denn das Spiel selbst ist völlig sprachneutral. Alles ist über kleine Icons in den Funktionen und Auswirkungen und Belohnungen dargestellt. Icons, die ich in meiner Spielerklärung verständlich vermitteln möchte.

Eigentlich ein recht einfaches Spiel, das allerdings durch die Masse an Möglichkeiten auf den ersten Blick erschlagend aussieht. Nicht ohne Grund spricht die Anleitung von einem eng verzahnten Optimierungsspiel. Ein Sandkasten voller Möglichkeiten, der begriffen werden will. Zumindest so weit, dass jeder Mitspieler den Ablauf und die Icons verstanden hat.

In Summe soll meine Spielerklärung eine Stunde gedauert haben. So sagte man mir. Ich hoffe mal, dass der Spielaufbau da eingerechnet ist. Mir selbst kam das absolut nicht wie eine Stunde vor. Ich hatte eher den Eindruck, dass ich zügig und zielgerichtet und ohne unnötige Wiederholungen erklärt hatte. Und schwups war eine Stunde herum. Wertvolle Zeit, die eigentlich viel besser im gemeinsamen Spiel verbracht werden sollte und nicht in der Vorbereitung darauf.

Ok, bis zum Abendessen wir das knapp. Aber es gibt ja nur drei Zeitalter, die wir durchspielen und die sind vom Ablauf identisch inklusive Wertung. Aus Erfahrung wusste ich schon, dass das erste Zeitalter ungefähr so viel Spielzeit wie dann letzten beiden Zeitalter zusammen brauchen würde. Eben, weil jeder am Tisch entweder die ganzen Icons erst einmal verinnerlichen muss oder in Folgepartien an seiner Spielstrategie schraubt. Dann ist irgendwas alles klar, die Grundsteine des Weges gelegt und die einzelnen Spielzüge werden immer schneller. Und das alles, ohne in nervige Hektik zu verfallen.

Unser Abendessen war dann eher eine verfrühte Nachtvesper. Die Sonne derweil untergegangen. Die von mir geschätzten gut zwei Stunden Spielzeit haben wir weit übertroffen. Am Ende des Spiels konnte ich in drei unterschiedlich gelaunte Gesichter schauen – von „war sogar schlimmer als Civolution“ über „war ok“ bis „finde ich weiterhin gut“ war erinnert alles dabei auf dem Spektrum der Spieleindrücke. Mir persönlich gefällt Men-Nefer weiterhin ausgesprochen gut.

Diesmal habe ich vor allem auf den Bau von Sphinx-Statuen gesetzt, mich am Pyramidenbau beteiligt und Waren im Tempel geopfert. Dabei stets darauf geachtet, immer ausreichend Fisch für meine bevorzugten Aktionen zu haben. Das klappte erstaunlich gut, hat mir aber nur den dritten Platz eingebracht. Auf die Königinnen-Pyramide mit nur drei gebauten Sphinx-Statuen zu setzen, brachte in Vergleich zu wenig Siegpunkte ein. Das hätte ich anders besser optimieren können. Also die Spielerfahrung als Motivation mit in die kommende Partie genommen.

Wenn die Wahl gegeben ist, würde ich Men-Nefer allerdings in Zukunft lieber zu dritt spielen. Zwar gibt es in Vollbesetzung mehr interessante Konkurrenz, allerdings wird die Spielpartie dadurch schlicht länger. Eventuell zu lang, zumindest wenn die eingeplante Spielzeit begrenzt ist. Trotzdem war auch meine etwas objektiv überlange Men-Nefer Partie zu viert weder langweilig noch langatmig. Ich hatte immer was zu tun und das genug. Sei es in der Ausführung meiner Spielzüge oder wenn ich die Aktionen meiner lieben Mitspieler verfolgt habe, um zu sehen, ob sich neue Möglichkeiten auftun oder vorhandene Chancen schließen. Die Spielzeit verging für mich wie im Fluge, wie man so schön sagt.

Aber warum verfliegt die Zeit und scheint zu besonders beim Brettspielen so zu rasen? Die Grundlagenforschung meint dazu, dass wenn wir nicht auf die Zeit achten, dann erleben wir die Zeit als solche nicht. Stattdessen vergeht die Zeit gefühlt schneller und das merken wir erst im Rückblick mit Blick auf die Uhr als objektiven Zeitmesser. Im Zustand des Wohlbefindens vergeht die Zeit in einem angenehmen Flow. Spaß haben oder sich in eine Tätigkeit zu vertiefen, lässt uns die vergangene Zeit nicht aktiv wahrnehmen.

Konkreter und hier zitiere ich Dr. Jana Nikitin vom Psychologischen Institut der Universität Zürich: „Menschen haben also nicht nur das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht, wenn sie spaßig ist, sondern auch, dass sie spaßig ist, weil die Zeit schneller vergeht, besonders dann, wenn die schneller verflossene Zeit für sie überraschend ist, sie keine andere Erklärung dafür haben und davon überzeugt sind, dass spannende Zeit verfliegt. Menschen benutzen also offensichtlich die subjektive Zeit als Information dazu, wie gut oder schlecht ihre Zeit ist.“

Somit sollten wir uns eigentlich darüber freuen, wenn unser Zeitempfinden beim Brettspielen aussetzt, wir mitten im Flow sind, umgeben von angenehmen Mitspielern und in einer sicher empfundenen Umgebung. Ich nehme dieser Erkenntnis mit in die nächste Spielpartie, egal wie lange die auch immer dauern wird.

So oder so, Zeit ist weiterhin ein Rätsel, wenn nicht sogar eine Illusion – und da verweise ich zur Vertiefung des Themas auf diverse Artikel im Spektrum der Wissenschaft. Wer sich hingegen noch tiefer in dieses Kaninchenloch wagen möchte, der sollte mal die Theorien des amerikanischen Kognitionspsychologen Donald D. Hoffman nachschlagen.

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