Nein, wir sind hier nicht in der Welt von Harry Potter und seinen Tierwesen. Auch wenn mich der Titel und die Aufmachung der Spieleschachtel stark an diese Fantasywelt erinnert hat. Wundersame Wesen ist eigenständig und führt uns auf eine geheimnisvolle Insel voller fantastischer Kreaturen. Sieht zudem mit seinen Kreaturen-Karten wunderschön aus, ist allerdings ein knallhartes Eurogame auf gehobenen Kennerniveau.

Der Autor Yeom Cheolwoong hat Wundersame Wesen erfunden und letztes Jahr beim südkoreanischen Verlag Bad Comet veröffentlicht. Strohmann Games zeichnet sich für die deutschsprachige Lokalisation aus, bei der ich im Erstkontakt nichts zu meckern habe. Gelungen, wenn sich manche Begriffe auch unvertraut seltsam anhören.

Direkteinstieg mit der Story: Als Abenteurer auf hoher See haben wir mit unserem Schiff vor dieser geheimnisvollen Insel geankert, weil auch wir dem Ruf gefolgt sind, die dort ansässigen wundersamen Wesen mit eigenen Augen zu entdecken. Das erklärt dann zumindest, warum unsere Worker die Bezeichnung Besatzungsmitglieder tragen. Warum kommen die in Form von Seeschlangen und Dinosaurier daher? Und warum will unser Kapitän darauf reiten, auch wenn er magnetisch im Sattel gehalten wird? Das alles sind Fragen, die ich mich nicht zu stellen traue.

Eventuell gibt es auch keine Antwort darauf. Denn im spielerischen Kern haben wir hier ein thematisches Eurogame auf gehobenen Kennerniveau vor uns auf dem Tisch ausgebreitet. Für ausreichend Platz sollten wir da schon sorgen, denn neben dem großformatigen Spielbrett hat jeder von uns noch ein Spielertableau mit unserem ganz speziellen Kapitän und seiner Sondereigenschaft. Ein Vorratstableau nimmt die vielfältigen wie wundersamen Wesenskarten auf und präsentiert uns sechs davon in einer offenen Auslage, um darüber hinaus noch Platz für Eier, Energie-Kristalle und Kescher zu bieten. Diese Karten werden wir im Laufe des Spiels auf unsere Hand nehmen und mit passenden Ressourcen in unserem Besitz ausspielen.

Und während Ihr hier die ersten Sätze meinen Ersteindruck lest, könnt Ihr als Multitasking-Herausforderung nebenbei der Spielerklärung lauschen – aufgenommen auf dem SpieleWahnsinn als Audio-Mitschnitt …

Handkarten und Ressourcen sammeln wir mithilfe unserer drei Besatzungsmitglieder ein. Denn die belegen gleich zwei Felder auf dem Hexspielplan und wollen so strategisch geschickt dort platziert werden, um uns Zugang zu den wortwörtlich angrenzenden Lebensräumen mit Ressourcen in vier Typen zu verschaffen – Frucht, Koralle, Blume und Pilz. Wobei wir die in unserer entspannten Kennenlernpartie auf dem SpieleWahnsinn in Herne am Stand von Strohmann Games schlicht bei ihrer offensichtlichen Farbe genannt haben. Wer auf Ressourcen verzichtet, der kann stattdessen passende Karten der offenen Auslage einsammeln, die ebenfalls denselben Typ an Lebensraum zeigen. Spätestens hier solltet Ihr nicht nur im Blick behalten, welche Karte interessant scheint, sondern auch, womit Ihr die später bezahlen müsst und welche Ressourcen Ihr dazu benötigt.

So bauen wir nach und nach unsere eigene Tier-Maschinerie aus Wesenskarten auf, die sich vergnügt in unserem Reservat tummeln. So stelle ich mir das zumindest vor. Weil Wildtiere einfangen, nur um die auszubeuten, das mag ich nicht. FCK ZOOs, rufe ich Euch Arche Nova Spieler augenzwinkernd da entgegen!

Zurück zum Spiel, bei dem wir auch noch Eier einsammeln, was entweder direkt passiert oder mithilfe unseres Keschers. Warum das alles? Um ausliegende Errungenschaften zu erfüllen. Wer da zuerst kommt, der kann mehr Siegpunkte einstreichen. Und da wir pro Spielerzug nur eine von vier möglichen Basisaktionen machen dürfen, entsteht so ein konfrontativer Wettlauf um die interessantesten Wesen in Kartenform, besten Ressourcen-Sammel-Orte auf der Insel und dem Erfüllen von Errungenschaften, bevor es unsere lieben Mitspieler machen.

Mit jeder erfüllten Errungenschaft kommt uns das Spielende näher. Anfangs noch weit entfernt, lichten sich die Reihen der Errungenschafts-Pokale schneller als gedacht und bevor wir all unsere Pläne verwirklichen konnten, ist die Spielpartie auch schon vorbei. Da wir eben nur die eine Aktion reihum machen, geht das alles recht fix. Sofern man einen ausreichend guten Blick auf die Kartenauslage hat und erkennen kann, was dort für Symbole abgebildet sind. Schön hingegen, dass die Symbolsprache direkt in Textform darunter aufgedruckt ist. So lernen wir nach und nach die einzelne Symbolbedeutung ganz automatisch. Nach 90 Minuten soll in Vollbesetzung von vier Spielern alles vorbei sein.

Unserer Kennenlernpartie hat eventuell länger gedauert, war für mich aber keine Sekunde langatmig. Ich hatte immer ausreichend zu tun, teilweise zu viel, weil ich vor allem zu Beginn gar nicht alles durchdenken und planen und optimieren konnte, bis ich wieder selbst am Zug war. Für Eure Erstpartie empfehle ich Euch deshalb einen entspannten Sonntagnachmittag, weil Wundersame Wesen will durchdrungen werden in seinen Verflechtungen zwischen Workerplacement, Ressourcentypen und gewinnbringenden Kartenkombinationen.

Da rauchte mir an der Grenze zur Überforderung schon arg der Kopf. Aber das legte sich zum Glück im Laufe der Partie und vieles wurde mir wesentlich klarer, ob vom Ressourcenverbrauch oder auch vom Timing der eigenen Aktionen im Hinblick auf die Mitspieler. Und wenn Ihr mal Zeit findet, dann lasst Euren Blick doch einfach mal über die Vielfalt der 126 einzigartigen und wunderschön illustrierten Wesenskarten streifen. Illustriert von Sophia Kang. Siegpunkte sind schön und gut, aber dann doch nicht alles.

Ist mir Wundersame Wesen eine Empfehlung wert? Eigentlich kennen wir die ganzen Mechanismen schon irgendwo her. Aber auch wie bei SETI erschafft die richtige Mischung und Verflechtung dieser altbekannten Mechanismen ein spielenswertes Gesamtwerk an gehobener Brettspielkunst. Spiele ich gerne wieder mit, um noch tiefer in diese Optimierungswelt einzutauchen und erneut den packenden Wettlauf gegen meine Mitspieler zu erleben.

Allerdings bin ich ein wenig übersatt an sehr guten Vertretern dieses Genres, sodass ich nicht zwingend jedes neue Eurogame selbst besitzen muss. Das sollte Euch aber nicht vom Kauf abhalten, denn mit Wundersame Wesen könnt Ihr eigentlich nur auf allen Ebenen gewinnen – ein herausfordernder Spielspaß verpackt in einem packenden Spielablauf. Und wer davon nicht genug bekommen kann, greift zu den zwei Erweiterungen Gigantische Bestien und Besatzungs-Set oder spielt das Grundspiel einfach mal als Solo-Herausforderung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert