Wer wie ich schon etwas länger oder noch länger im Brettspiel-Hobby mit dabei ist, den erwischt es zwangsläufig irgendwann selbst. Erst ein schleichender und unterdrückter Prozess, dem aber irgendwann das eigene Eingeständnis folgen wird. Dabei ist das wichtigste Sinnesorgan meist auch zuallererst betroffen und eingeschränkt. Kommt mit auf eine persönliche Reise durch die nunmehr 52 Jahre meines Lebens, von denen ich mehr als die Hälfte entspannt spielend verbracht habe.

Ja, ja, wir werden alle nicht jünger. Geht mir weg mit solchen wehmütig hingehauchte Weisheiten. Ich weiß selbst, dass ich inzwischen ein alter Sack geworden bin. Auch wenn ich das lange nicht wahrhaben wollte. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich schon vor ein paar Jahren bei einer entspannten Partie Twilight Imperium 4 im alten Unperfekthaus in Essen. Die Räumlichkeit war nicht wirklich fürs Brettspielen ausgelegt, hat aber ausreichend viele und großformatige Tische geboten. Ideal, um sich und das 4X Science Fiction Epos auszubreiten.

Bei den Auftragskarten war es dann für mich so weit. Ich konnte diese grau gedruckte Schrift auf schwarzem Hintergrund schlicht nicht lesen. Wie jetzt? Waren die Buchstaben da immer schon so kleingeschrieben oder war die Beleuchtung einfach nur mies? Ein doppeltes Nicken, aber das alles konnte nicht davon ablenken, dass mir dabei das allererste Mal bewusst wurde, dass ich wohl eine Lesebrille brauche. Verdammt, dabei war ich immer stolz auf meine perfekte Adleraugensicht. Brillen habe ich nie getragen, brauchte ich auch niemals nie.

Die Augenärztin hat es dann bestätigt. Ich bin altersweitsichtig. Um meine Sehschärfe im Nahbereich wiederherzustellen, brauchte es dazu eine Lesebrille mit 1.0 und 1.5 Dioptrien. Das ist genau der nervige Grenzbereich, in dem ich gerade so noch gut lesen kann, zeitgleich aber auch wieder nicht. Notfalls geht es beim Brettspielen auch so, aber oftmals dann doch nicht. Dabei ist so eine Lesebrille echt blöde.

Alle Brillenträger werden jetzt milde lächelnd zustimmen, während ich allen Jungspunden eventuell was Neues erzähle: So eine Brille füllt nicht Euer gesamten Sichtfeld aus, sondern nur einen kleinen Bereich im Direktvergleich. Reichte es früher aus, nur die Augen kreisen zu lassen, muss nun viel zu oft der Kopf mitwandern. Kennt Ihr von Hühnern. Sieht dumm aus. Deshalb mein Rat: Lasst Euch kein Designergestell andrehen, sondern möglichst eine Lesebrille mit den größten runden Gläsern, die auf Euer Gesicht passen. Ganz Mutige nehmen direkt Kontaktlinsen, ich hingegen möchte mir nicht auf meinem Auge herum tatschen.

Nichts kann nerviger sein, als seine Lesebrille zum Spieletreff vergessen zu haben. Ok, noch nerviger ist, die beim Spieletreff liegen und vergessen zu haben. Deshalb unbedingt Eure Kontaktdaten ins Brillenetui schreiben. Ohne benötigte Lesebrille ist das Brettspielleben arg eingeschränkt. Auf eben die Spiele, die möglichst keinen wichtigen Text auf Spielkarten haben oder sonstige Geheiminformationen in kleinen Buchstaben versteckt. Deshalb bin ich inzwischen ein Freund von sprachneutralen Spielen geworden, die sich plakative Icons bedienen und eine schön große Spielübersicht bieten.

In der Rolle des Erklärers habt Ihr es auch nicht leicht. Weil Regeln frei interpretieren, weil Ihr die nicht buchstabengetreu lesen könnt, führt zu keinem guten Ende. Buchstabenraten ist blöd. Spätestens die fitzelig kleinen Anleitungen von Oink Games werden Eure widrigsten Widersacher werden. Im Extremfall greift zur Lupenfunktion Eures Smartphones, da habt Ihr dann auch direkt eine Beleuchtung dran.

Aber wer bin ich, dass ich mich beschweren dürfte. Von anderen Altersleiden, die das Brettspiel-Hobby noch weiter einschränken, bin ich zum Glück bisher verschont geblieben. Einblick in das Horrorkabinett des Alters gefällt? Gegen Hämorrhoiden sollen Sitzkissen bei überlangen Brettspielsessions helfen. Bei einem Tremor, der Zittrigkeit der Hände in Alter, sollte Ihr lieber einen Arzt aufsuchen, um tiefergehende neurologische Probleme auszuschließen. Spätestens dann seid Ihr auf die Hilfe Eurer Mitspieler angewiesen und Geschicklichkeitsspiele solltet Ihr dann auch von der Liste Euer Lieblingsspiele streichen.

Die Vergesslichkeit im Alter ist auch so ein häufiges Phänomen, das mit dem natürlichen Alterungsprozess beginnt. Abhilfe schafft hier ständiges Gehirntraining, was als Neuheiten-Sammler nebenbei beim fortwährenden Regellernen passiert. Häufiger Harndrang im Alter ist auch ganz normal. Nutzt einfach die Spielpausen, wenn Eure Mitspieler im Analyse-Paralyse-Optimierungswahn festhängen. Ach ja, das Gehör lässt ebenso nach, was besonders auf Messen oder überfüllt-lärmenden Spieletreffs negativ durchschlägt. Einfach mal zum Ohrenarzt gehen und das abklären lassen. Denn viele Alterungsprozesse sind mehr als schleichend und unbemerkt, zumindest bis dann plötzlich der Hallo-Wach-Moment der Erkenntnis und des Eingeständnisses kommt.

Wie Ihr seht, für fast alles gibt es eine Lösung. Lasst Euch deshalb den Spaß am Brettspielen nicht verderben. Und wenn es mal etwas länger dauert oder eine nochmalige Nachfrage nötig ist, dann ist das halt so. Eure Mitspieler werden ja auch nicht jünger.

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