Darf es noch ein bisschen mehr sein? Ein Mehr an Spielmechanismen und Siegpunktemöglichkeiten und Detailregeln und schön bunten Icons auf einem noch bunterem Spielplan vereint. Dazu Begrifflichkeiten, die zwar thematisch passend sind, aber für noch mehr Verwirrung sorgen. Fertig ist ein Eurogame-Optimierer der besonderen Art.
Meiner Meinung nach wollte der Autor Germán P. Millán schlicht zu viel. Zu viel auf einmal. Dabei hätten die Elemente seines Expertenspiels locker für drei weitere Brettspiele gereicht. Nicht ohne Grund gibt es zu Bituko bis heute keinerlei Kurzspielregeln, die das arg überladen präsentierte Regelwerk auf die Wesentlichkeit herunterbricht, ohne wichtige Details auszulassen. Da kann die beiliegende aufklappbare und doppelseitige Spielübersicht nicht mithalten, dient die doch eher als Erinnerungsstütze für den Spielablauf und verweist ansonsten per Seitenzahl auf die Anleitung, in der wir den ganzen Rest nachschlagen sollen.
Sich Bitoku draufzuschaffen, um es erstmalig spielen zu können, das war echte Arbeit. Zunächst müssen wir uns durch das viele Spielmaterial kämpfen und identifizieren, was das alles sein soll. Da werden Yōkai und Bitoku Karten unterschieden, uns etwas von Pilgrim und Kodama Counter erzählt und wir sollen Mitama Spirit mit Dragonfly Plättchen kombinieren sowie Iwakura Rock Plättchen einsammeln. Bitte was? Da sind Vision Cards noch halbwegs verständlich, sofern wir nicht zu intensiv auf die Icons schauen und uns fragen, was „A / B ²“ von „A / B²“ unterscheidet. Letzteres ist die Auswahl von 1x A oder 2x B, während Ersteres wie 2x A oder 2x B zu lesen ist. Nur stehen da natürlich keine klar identifizierbaren Buchstaben, sondern kleine grafische Symbole. Das alles, um das komplette Spiel fernab der Anleitung und Spielübersicht sprachneutral zu halten.
Deshalb war meine Erstpartie von Bitoku auch arg mühsam und in seiner dadurch überlangen Spielzeit gefühlt überfordernd. So interessant der eigentliche Spielablauf durchaus war, irgendwann war ich an dem Punkt angekommen, als der ganze Aufwand den erlebten Spielspaß überstieg. Ab da war es mir dann auch egal, ob ich mit meiner Aktion nun potenziell 4 oder an anderer Stelle irgendwo 5 Siegpunkte machen würde. Genervt von mir selbst, hoffte ich auf ein schnelles Spielende. Auch weil ich für mich längst entschieden hatte, dass ich den enormen Erkläraufwand und die anschließende Phase von Unverständnis bis zum Aha-Erlebnis nicht nochmal in einer neuen Erstspielerunde durchmachen möchte. Weil aus eigener Erfahrung weiß ich ja jetzt, welche Hürden einem Bitoku dabei in den Weg legt.
Das beginnt mit den durchweg verwendeten thematisch schönen und ebenso unverständlichen japanischen Begriffen für die Spielelemente. Entweder kennt man sich in der japanischen Mythologie perfekt aus oder muss diese Begriffe wie Vokabeln lernen. Mitama Spirit ist das untere Teil des Plättchens, das ich mit einem Dragonfly kombinieren soll. Yōkai Karten sind Wegekarten für unseren persönlichen Pfad durch den mystischen Wald. Bitoku Karten sind hingegen unsere Hand- und Aktionskarten. Und diese Iwakura Rocks sind Wertungsplättchen, bei dem mir die Anzahl an angrenzenden Pilgrim Counter den Multiplikatorwert für diese Wertung geben. Nicht zu verwechseln mit den Kodama Counter, die auf den Forest Treasure Tiles voranschreiten, um bis Spielende dort möglichst vor den Mitspielern zu sein. Anderswo sind das einfach Einflussleisten, welche die relative Platzierung mit Punkten belohnen.
Dazu kommt, dass der Spielplan kreischend bunt ist und Aktionsbereiche wie Ablagebereiche für diverses Spielmaterial ebenso bunt mischt und kaum voneinander abgrenzt. Auf den Spielplan liegt einfach alles. Zumindest alles, was im allgemeinen Zugriff aller Mitspieler ist. Platz für die vier Ressourcentypen und drei Amulett-Stärken gibt es aber nicht. Das lagert schlicht neben dem Spielplan.
Auf diesem Spielplan voller Einsetzfelder und noch mehr Belohnungsicons platzieren wir unser Würfel-Arbeiter und Pilgrim-Meeple in Spielerfarbe. In Summe erinnert das mehr an ein Wimmelbild und deshalb war es für mich eine Herausforderung für sich, dort irgendwelche Aktionsmöglichkeiten abzuschätzen, die im Vergleich mehr Punkte oder lukrativere Vorteile bringen würden. Sieht schön aus, aber auf der spielerischen Ebene eine unnötige Last.
Tja und dann sind die verwendeten Icons leider nicht wirklich eindeutig und beschreiben ebenso leider nur unvollständig die Funktion. Da haben wir diese Mitama Spirit Plättchen, die den aufgedruckten Bonus sofort geben. Im Gegensatz dazu die Dragonfly Plättchen, die auch einen Bonus aufgedruckt haben, den wir aber erst bekommen, wenn wir ein Mitama Spirit mit einem Dragonfly kombinieren. Das wird auf den Plättchen allerdings nicht unterschieden. Das müssen wir uns merken, wo andere Spiele einfach ein direkt verständliches Blitz-Symbol verwendet hätten.
An anderer Stelle können wir durch einen Bonus einen Würfel-Arbeiter einsatzbereit aktivieren, dargestellt durch ein Icon. Genau dasselbe Icon wird an anderer Stelle aber auch verwendet, um klarzumachen, dass wir den Würfel nicht nur einsatzbereit machen, sondern direkt und sofort einsetzen. Einmal so und einmal so. Auch das müssen wir uns merken und die Unzulänglichkeiten des Spiels ausgleichen.
Dabei ist der spielmechanische Kern von Bitoku gar nicht wirklich kompliziert. Ok, der ist umfangreich und vereint diverse Einflussleisten mit Deckbuilding und Handkarten-Management sowie Set-Collection und Workerplacement mit Dice-Worker und bietet freischaltbares Einkommen und belohnt bestimmte Aktionen über Bonusplättchen, während wir Aktionsgebäude bauen und einen Nutzungsbonus einstreichen können, um Aufträge zu erfüllen und uns individuelle Endwertungen mit steigerbarem Multiplikator aussuchen lässt. Die einzelnen Möglichkeiten sind hingegen einfach. Nur eben versteckt hinter den japanischen Begriffen des Themas und durch Icons repräsentiert, die wir erst mühsam erlernen müssen in ihren Bedeutungen und Besonderheiten.
Bitoku ist ein Siegpunktesalat und ein Sandkasten voller Möglichkeiten zugleich. Gefällt mir durchaus, weil bietet Freiräume. Nur war Bitoku die thematische Präsentation zu wichtig und damit wurde die Zugänglichkeit geopfert. Was aber bringt mir ein optisch schönes Spiel, bei dem ich erst enorm viel Vorarbeit leisten muss, um bis zum herausfordernden Spielspaß durchzudringen? Im Direktvergleich mit Civolution ist die redaktionelle Arbeit, die in Bitoku geflossen ist, um es spielbar zu machen, für mich nicht spürbar gewesen.
Deshalb komme ich zu meiner Fazitfrage, warum ich als Spieler die sichtbaren Unzulänglichkeiten von Bituko ausgleichen soll, wenn es andere Spiele dieser Gewichtsklasse einfach besser machen? Da kann Bitoku noch so schön aussehen, es stirbt für mich spielerisch in Schönheit und bleibt in Zukunft eher ungespielt fernab meiner zu mühsamen Erstpartie. Schade eigentlich, aber selbst verschuldet.
Wie es besser geht, das hat Autor Germán P. Millán mit seiner 2024er-Neuheit Men-Nefer gezeigt. Auch da wurde zu viel auf einen übergroßen Spielplan gequetscht, wie schon in Bitoku, aber die Spielmechanismen wurden deutlich entschlackt. Zudem mit Pyramiden als Thema zugänglicher und ich kann damit mehr anfangen als wie mit einem tief in der japanischen Mythologie verwurzelten mystischen Fantasiewald, um den ich in Zukunft einen großen Bogen machen werde.