Wir zählen keine Punkte, sondern nur die Überlebenden der letzten Nacht. Übermüdet kauern wir frierend vor den letzten Holzscheiten unseres schwach lodernden Feuers. Die Vorräte sind längst ausgegangen und die Verzweiflung greift immer weiter um sich. Unser Kamerad Droschdan konnte das alles nicht mehr ertragen und ist gestern den Weg der Rasierklinge gegangen. Derweil weine ich mich tränenlos in den Schlaf. Bitte lass das alles irgendwie gut enden, es ist doch nur ein Spiel.
Vor Ewigkeiten habe ich die Erstauflage von This War of Mine in der deutschsprachigen Kickstarterversion mitgespielt. Das war etwas holprig, weil keiner von uns die Regeln kannte und wir über das Tutorial ins Spiel gefunden haben. Keine Ahnung, ob es da auch einen anderen besser informierten Weg gibt oder ob diese Art schlicht zum Spielgeschehen gehört, dass man als Spieler anfangs bewusst noch nichts oder nur wenig weiß. Diese Dreierpartie war durchaus abendfüllend und deprimierend zugleich und ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Eine Erinnerung, die derweil acht Jahre alt ist, sich allerdings in meine Spieler-Seele eingebrannt hat.
Wir befinden uns in This War of Mine in der belagerten Stadt Pogoren. Als eine Gruppe von einfachen Zivilisten erleben wir das unmittelbare Grauen des Krieges und versuchen schlicht zu überleben. Wir treffen schwierige wie folgenreiche Entscheidungen, begegnen gefährlichen Herausforderungen und erleben dabei eine unvergessliche wie tiefgründige Geschichte.
Ein außergewöhnliches Spielerlebnis, in dem wir unseren Unterschlupf verwalten, Gegenstände des täglichen Bedarfs herstellen und immer wieder die umliegende Stadt erkunden. Dabei setzen wir stets unser Leben aufs Spiel und versuchen, bis zum ersehnten Waffenstillstand durchzuhalten. Irgendwie und koste es, was es wolle. Wir sind gefangen in einem unbenannten militärischen Konflikt, den wir weder angefangen noch beenden können. Während Moral und Ethik um uns herum immer weiter an Bedeutung verlieren, ist das Überleben einfach allem untergeordnet.
Selten habe ich „ein Spiel gespielt“, das mir so nahe gegangen ist. So nahe, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen den Tränen nahe bin. Die ganzen grausamen Details unserer erlebten Spiele-Story habe ich derweil halb verdrängt. Wirklich erinnern möchte ich mich gewiss nicht mehr daran. Aber irgendwie war diese Partie auf morbide Weise auch so faszinierend, dass ich mir damals direkt die deutschsprachige Retailversion gekauft habe – und nie gespielt.
Manche Geschichten müssen erzählt werden, so sagt man. Ganz klar, nur möchte ich die auch am Tisch gemeinsam als Spiel nacherleben? Darüber diskutieren, ob wir unsere alten und schwachen Nachbarn beklauen, weil wir doch viel bessere Chancen haben, zu überleben und damit hoffentlich endlich auch der nervig-keuchende Husten verstummt, der uns schon so oft den Schlaf geraubt hat? Ob wir … ach lassen wir das, Ihr ahnt schon längst, was alles in diesem Spiel vorkommt, auch wenn das hier nur ein fiktives Beispiel war, um niemanden zu spoilern. Die Richtung des Spiels sollte trotzdem klar geworden sein, so hoffe ich. Ach ja, die obige Frage kann ich für mich inzwischen mit einem klaren „Nein, möchte ich nicht!“ beantworten.
Spielen bedeutet für mich in erster Linie, eine gute Zeit mit guten Freunden zu verbringen. Der gemeinsame Nenner ist dabei das Brettspiel. Das darf gerne herausfordernd, packend und gerne auch mal zum Nachdenken anregen. Allerdings möchte ich nicht von Trauer, Tod und Krieg in ihren bewusst drastisch gewählten Darstellungen traumatisiert werden. Da verschließe ich dann doch lieber feige und aus Selbstschutz die Augen vor. Die Welt da draußen ist schon schlimm genug. Diesen Zustand brauche ich mir nicht noch auf den Spieltisch holen und mich dem freiwillig in meiner Freizeit aussetzen, wenn ich den Luxus habe, in der Realität im so bezeichneten Frieden leben zu dürfen.
Deshalb kam mein Exemplar von This War of Mine nie aufm Tisch. Fast ebenso wie The Grizzled, das auch Krieg auf sehr drastische Art und Weise darstellt. Das habe ich zumindest wenige Male mehrmals gespielt. Da ich aber für mich wusste, dass ich solche Art von Spielen besonders in den aktuellen Zeiten selbst nicht vorschlagen und mitspielen möchte, habe ich die bei Gelegenheit verkauft und seit dem auch nicht wirklich vermisst.
Ein Frostpunk ist zwar auch heftig und deprimierend, aber dann doch ausreichend weit weg im Bereich der Postapokalypse angesiedelt. Deshalb habe ich das weiterhin in meiner Sammlung und hoffe, es irgendwann bald wieder in passender Runde spielen zu können. Aber auch dort musste ich schon des Öfteren arg schlucken, wenn wir schicksalshafte moralische Entscheidungen treffen mussten, von denen keine wirklich gut ausgehen wird. Wahrlich kein Gute-Laune-Spiel, aber kein Vergleich zur Heftigkeit eines This War of Mine.