Wahrnehmung kann täuschen. Besonders, wenn sich der Fokus auf etwas verschiebt, was stark auffällig ist. Veränderungen werden eben eher wahrgenommen. Währenddessen kann im Schatten davon unbemerkt der kommende Gewinner emporklettern. Trotzdem hat das sich ständig ausbreitende Possum durchaus seine Chance auf den Spielsieg.

Aktuell scheint sich die Meinung unter Kauri-Spielern zu verfestigen, dass man in der Charakterrolle als Possum ein arg schweres Spielerleben hat. Von allen Seiten bedrängt und verdrängt, bejagt, gefangen und vergiftet. Warum eigentlich? Meine bisherigen Beobachtungen aus rund acht Spielpartien mit Kauri können diese Beobachtungen zwar auch bestätigen, aber eventuell sind solche Spielpartien auch einfach besonders im Gedächtnis geblieben.

Das Possum macht sich alleine optisch schon als auffälliges Ziel. Das sich ständig ausbreitende Violett auf dem Spielplan fällt eben auf. Mehr als die Kiwi, die mit ihrem Baum in einer Region hocken und schon beim Spielaufbau da sind. Die werden eher bemitleidet, dass die schon wieder weniger werden. Das Possum ist das genaue Gegenteil. Erst kaum vorhanden und der einzige Charakter im Spiel, der massenweise neues Formen von sich selbst auf den Spielplan stellt. Das kann niemand verstecken.

Währenddessen spielen die Maori eher im Schatten mit. Nur eine einzelne Spielfigur, die ab und zu mal einen Kiwi oder Possum einsammelt und fast unbemerkt ihre Tempel und Vororte aufstellt. Die spielen ein wenig unter dem Radar, weil die offensichtlich niemanden wirklich viel auf einmal schaden. Dass die Tempelkonstrukte hingegen bis zu dreimal soviel wert sein können wie ein einzelnes Possum oder Kiwi, das wird gerne übersehen, weil ist nur abstrakt greifbar.

Der Engländer fällt eher dann auf, wenn die Mitspieler irgendwann mal realisieren, wie viele Bäume sich da schon auf dem Spielertableau angesammelt haben und die ja alle einen Siegpunkt geben. In der Summe dann ganz schön viele. Im selben Atemzug sind die verbliebenden Kiwis auf dem Spielplan unauffälliger. Wer sich da nicht von Bauchgefühlen und psychologischen Täuschungen leiten lassen will, sollte mal kurz durchzählen. Das ist eh schnell gemacht und offenbart manchmal echte Überraschungen, wer fernab der täuschenden Gesamtsituation wirklich in Führung liegt.

Wenn ein Charakter in einer Partie mal so richtig untergeht, dann hat der direkte Gegenspieler meist davon profitiert und die Mitspieler haben dann zu wenig dagegen gemacht und auch noch kollektiv mit draufgehauen. Das ist besonders gegen das Possum recht einfach, oder? Schauen wir uns mal das Possum und ihre Gegner an:

Der Possum-Spieler startet mit vier Possums auf dem Spielbrett und somit vier Siegpunkten. Sechs von den neun Karten im Deck erlauben entweder Bewegungen oder die Vermehrung, in der Überzahl sogar noch eine zweite Aktion. Eine einzige Karte kann dem Possum-Spieler Engländer und Maori vom Hals halten. Ideal, um die von der eigenen größten Populationsregion fernzuhalten. Da der Kiwi-Spieler gerne sein Vermächtnis gegen das Possum spielt, sollte man dem Kiwi zuvorkommen und eines seiner dauerhaften Vermächtnisse schon im ersten Spielzug anwenden. Im Zweifel von der oft übersehenden Regel Gebrauch machen, dass man seine Startkartenhand auch zurückmischen und neu ziehen darf.

Das Possum-Vermächtnis Fruchtbarkeit empfinde ich als besonders stark, weil damit bei drei Aktionskarten direkt ein weiteres Possum platziert wird, was direkt ein weiterer Siegpunkt sein kann. Allerdings macht man sich damit auch zum direkten Ziel aller Mitspieler, weil man sich noch sichtbarer vermehrt. Das sollte man aushalten können und zeitgleich klarmachen, dass der Kiwi-Spieler weiterhin viel mehr Siegpunkte hat.

Vom Kiwi kann das Possum in seiner Bewegung und damit Ausbreitung behindert werden. Überschwemmungen sind dafür temporäre Sperren, während ein Reservat viel gefährlicher ist. Denn damit können direkt alle Possums aus dieser Region entfernt werden. Also vorsicht, wenn sich in der Ranger-Phase des Engländers ein Kiwi unter Possums mischt. Da es auch noch die Aktion Zorn der Huia gibt, die ein Possum in Anwesenheit eines Kiwi entfernt, sollte man als Possum-Spieler lieber die Regionen der Kiwi meiden.

Der Engländer hat auf sieben seiner neun Karten Aktionen gegen das Possum. Der einzige Schutz davor ist, das Gewissen des Engländers möglichst lange in seiner Holzfällerphase zu halten. Der Kiwi-Spieler hat allerdings zwei Karten im Deck, um die Zeit zu manipulieren, während der Possum-Spieler nur mit einer Karte dagegenhalten kann und beim Periodenende das Gewissen unaufhaltsam voranschreitet. Also davor möglichst schon weit und besonders flächig ausbreiten und dann dem Engländer in seiner Pelzjäger-Phase als Ranger fernbleiben, um einer Massenvernichtung auf einem Feld zu entgehen.

Die Maori sind für den Possum-Spieler eine unterschätze Bedrohung. Zwei Karten im Deck zeigen die Jagd, entweder auf Kiwi oder ein Possum. Deshalb einfach die Nähe der Maori-Spielfigur meiden und schon wird das Possum nicht zur Beute. Die Vertreibung, bei der alle Kiwis und Possums in eine angrenzende Region versetzt werden, ist eher eine vorbereitende Aktion. Wenn das Possum damit allerdings in die Hände des Engländers gespielt wird, kann es übel enden.

Was die anderen drei Charaktere in Kauri auszeichnet, das wird dann Thema einer zukünftigen Brettspieltag-Betrachtung sein. Bis dahin und darüber hinaus kann ich Euch das asymmetrische Kennerspiel Kauri nur weiterhin empfehlen. Einfach mal mitspielen, ein Charakter im Spiel kennenlernen und sich überraschen lassen, was die Mitspieler so alles gegen einen in ihrem Kartendeck haben. Kauri lebt vom wiederholten Spiel, denn je besser Ihr die spielerischen Möglichkeiten kennt, desto zielgerichteter und kontrollierter könnt Ihr eine Partie mitgestalten – hoffentlich zu Eurem Vorteil.

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