Jeder Brettspieler braucht irgendwann seinen eigenen Brettspieltisch, so sagt man. Ist das wirklich so oder gibt es gute Gründe, die gegen einen Brettspieltisch sprechen? Lasst uns die diversen Must-have-Mythen mal genauer betrachten und damit aufräumen, was fernab des Besitzerstolzes im Praxisalltag wirklich sinnvoll und nützlich ist.

Seit Ewigkeiten haben wir an normalen Esstischen gespielt oder auf dem Fussboden, wenn kein Platz war. Dann irgendwann hatten wir als Brettspieler alles – die Sammlung war mehr als komplett und dank Kickstarter haben Deluxe-Versionen die Schmerzgrenze, was man bereit ist auszugeben, erheblich nach oben verschoben. War ein Kingdom Death Monster für 400 Euro zunächst absoluter Wahnsinn und belächelt, sind inzwischen All-In-Pledges für 500 Euro und mehr fast schon die Regel geworden. Man könnte ansonsten ja auch etwas verpassen, selbst wenn ein Grossteil der ganzen direkt mitgekauften Erweiterungen wohl nie bespielt werden. Lieber haben als brauchen, so war das Motto.

Der Luxusgedanke hat dann auch vor Brettspielzubehör nicht Halt gemacht. Wäre es nicht toll, wenn es spezielle Tische für Brettspiele gebe? So dass wir uns wie im Kasino fühlen können – wuchtig-edles Holz mit Filz oder Leder bespannt und einer Reeling, auf die man sich lässig abzustützen kann. Dazu eine vertiefte Spielfläche für den perfekten Überblick aufs Spielgeschehen und natürlich Getränkehalter, damit ja nichts umkippen kann. Und damit so ein Brettspieltisch auch universeller nutzbar ist, direkt Abdeckplatten für die Spielfläche, um darauf essen und feiern zu können.

Klingt alles toll und die auf diversen Brettspielmessen ausgestellten Tische sahen ja auch wirklich gut aus und waren in ihrer Einzelanfertigung nach Wunsch des Kunden auch entsprechend teuer. Rathskeller war das neue Kingdom Death Monster geworden, erst belächelt und dann durch Massenproduktion etlicher neuer Tischhersteller in einem Bereich gerückt, der fast bezahlbar schien. Spätestens als jeder der bedeutenden Content-Creator nicht nur vor seinem Spieleregal, sondern auch an einem dieser Brettspieltische sass und die ganzen tollen Neuheiten vorstellte, waren Brettspieltische im Kopf der Brettspieler angekommen. Wer es sich leisten konnte und wollte und auch den Platz zu Hause hatte, brauchte irgendwann im Spielerleben so einen Tisch.

Ganz genau so lief auch meine Geschichte ab. Von einem geerbten 80 x 140 Esstisch, der sich auf 200 cm ausziehen liess und solange völlig ausreichte, bis Neopren-Spielmatten modern wurden, die eine Übergrösse von 90 cm hatten. So kam bei mir der Wunsch nach einem neuen Tisch auf und wenn es schon ein neuer Tisch ist, dann war der Sprung zu einem echten Brettspieltisch mit Abdeckplatten, so dass ich den weiter universell auch als Ess- und Arbeitstisch nutzen konnte, nicht mehr weit.

Schliesslich bin ich bei dem Kickstarter von Geeknson gelandet. Der erste Bristol Brettspieltisch. Natürlich in Warlord-Übergösse. Wenn schon, denn schon. Orientierte sich vom Aussehen und den Funktionen ein wenig an dem immer noch zu teuren Phalanx-Tisch von Rathskeller, aber sollte nur rund die Hälfte kosten und ganz viele tolle und sinnvolle Funktionen mitbringen. Das Promotionvideo war echt toll gemacht. Dass damit für mich eine Leidensgeschichte begann, die sich über zwei Reklamationsjahre erstrecken sollte, wusste ich damals noch nicht. Aber das ist eine Story, die ich demnächst mal für sich erzählen werde.

Genug der Einleitung, die ich aber wichtig finde zu erzählen, damit Ihr meinen Hintergrund einordnen könnt. Da habe ich viele Praxiserfahrungen sammeln dürfen. Allen alten Groll über mein erlebtes Geeknson-Service-Desaster beiseite geschoben, rückblickend klangen Brettspieltische in meiner Theorie immer besser, als die in Wirklichkeit sind. Es ist an der Zeit, mit den ganzen Mythen mal aufzuräumen, warum jeder Brettspieler irgendwann seinen eigenen Brettspieltisch braucht:

Mythos Abdeckplatten und Ablaufsystem

Den Hauptnutzen eines Brettspieltisches sehe ich darin, dass man ein Spiel im Kellerbereich aufgebaut stehen lassen kann, während man dank Abdeckplatten wieder eine flexibel nutzbare Tischfläche hat. Ok, dazu sollte man dann auch regelmässig Kampagnenspiele spielen, die eine entsprechend lange Aufbauzeit haben. Und einen Brettspieltisch haben, bei dem man die Abdeckplatten zügig und ohne viel Kraftanstrengungen irgendwo verstauen kann, wo die nicht im Weg stehen. Unterschätzt nicht das Gewicht von Massivholz bei übergrossen Tischen.

Allerdings muss man sich aufgrund der geteilten Abdeckplatten damit abfinden, dass die obere Fläche eben nicht durchgängig eben ist und man sinnvollerweise eine Tischdecke benutzen sollte, damit sich Krümmel nicht in den Ritzen sammeln und dann in den Keller regnen, wenn man die Abdeckplatten wieder abnimmt. Die ganzen Ablaufsysteme für verschüttete Getränke sind arg praxisfern, weil Flüssigkeiten nicht rückstandslos ablaufen und Resttropfen immer übrig bleiben. Nun stellt Euch die Sauerei mal mit Cola & Co vor und die anschliessende Reinigung des Ablaufsystems.

Mythos Armreeling und Griffreichweite

Das Sitzen an der Reeling, um dort dauerhaft die Arme aufzustützen oder abzulegen, ohne Spielmaterial am Unterarm kleben zu haben, klingt zunächst auch erstmal angenehm. Allerdings sitzt man dadurch automatisch weiter von der eigentlichen Spielfläche im Keller weg und wird je nach Tischgrösse (bei 95cm Keller-Spielfläche wird es arg anstrengend) müssen die Mitspieler den eigenen Spielzug ausführen oder Spielmaterial anreichen, weil vieles nicht mehr in eigener Griffreichweite ist. Das muss man mögen und die Mitspieler auch. Entspanntes spielen fühlt sich für mich anders an. Hier ist hingegen Bewegung angesagt – aufstehen, über die Reeling beugen und wieder hinsetzen.

Mythos Becherhalter

Zubehör-Mulden und Glashalter in der Reeling. Eine tolle Sache? Theoretisch ja, nur schränkt man sich damit arg ein. Ich hab zwar jetzt einen Platz für mein Kaltgetränk, aber ein Kaffeepott passt da nicht rein und was, wenn ich ein Wasser und Kaffee zeitgleich haben mag? Also doch wieder fernab der dafür vorgesehen Plätze auf der Reeling abstellen oder auf den teilweise zugedeckten Teil des Tisches oder auf Holzbänke im Keller, die bei Nichtgebrauch auch wieder irgendwo gelagert werden wollen und die Spielfläche zudem unflexibel verkleinern.

Also lieber diese Ansteck-Halter aussen am Tisch? Kann man machen, aber dann nur so platziert, dass man nicht davor sitzt und auch niemand Gefahr läuft, dagegen zu laufen und die Halter und den Tisch zu beschädigen. Tja und dann wieder die Frage, wohin damit, wenn man die nicht braucht oder doch zu wenig davon hat, wenn man in grösserer Runde spielt.

Mythos Würfelfläche und Kellerpolsterung

Aber man kann bei den Brettspieltischen doch so prima gegen die Reeling würfeln. Wie im Casino. Kann man, passiert bei Brettspielen aber eher selten bis nie. Eben weil man dafür viel freie Würfelfläche im Keller braucht und die Würfel dann irgendwo an der Reeling liegen bleiben, von der ich die wieder mühsam einsammeln muss. Oder die prallen an der Reeling ab und springen wild zurück aufs Spielbrett. Auch nicht ideal. Also schnell wieder vergessen im Brettspiel-Alltag.

Und durch die wattierte Matte im Keller kann man prima Karten aufheben. Jip, das stimmt. Nur kann das eine dicke Baumwolltischdecke oder eine Neoprenmatte ebenso, ohne dass man gleich einen Brettspieltisch drumherum haben muss.

Mythos Kartenhalter-Nut

Eine durchgehende Leiste, um seine Spielkarten dort aufzustellen, ist doch toll. Nur wenn man sich gegenüber sitzt und niemanden auf der selben Tischseite, weil der sieht die Karten ebenso. Auch braucht man Platz neben sich, oder wer will dauernd über seine aufgestellten Karten in den tieferliegenden Keller greifen? Flexibel aufgestellte und damit auch ausserhalb des Sichtbereiches der Mitspieler völlig frei platzierbare Kartenhalter-Ständer leisten da einen wesentlich besseren Job.

Mythos Zubehör

Und massig Zubehör braucht man ja sicher auch, damit man für alle Gelegenheiten seines Brettspieltisches bestens ausgerüstet ist. Laptop-Halter, Plexiglas-Sichtschirm, Counter-Trays für die Reeling, vergrösserte Schreibablage in A4 hochkant, Reelingverbreiterung für A4 Spielerboards aus Plexiglas, Schälchen für die Reeling innen anhängbar, Aufbockleisten für einen variabel tiefen oder nicht so tiefen Keller und und und. Wohin nur damit, wenn man das in seiner Spielpartie nicht braucht oder das Kampagnen-Spiel aufgebaut im Keller schlummert? Weniger ist da eindeutig mehr, nur hat man eben keine wirkliche Ahnung, was man wirklich braucht und kauft deshalb lieber alles. Wäre ja auch peinlich, wenn am Ende der fünfte Spieler keinen eigenen übergrossen Sichtschirm hat, wenn man meint, den irgendwann mal sinnvoll zu brauchen.

Mein alternativer Tipp

Ein Esstisch in Grösse von 1 x 2 Meter, den man durch ein Ansteckplatten-System verlängern kann, sofern es sein muss und die man bei Nichtgebrauch unter dem Tisch verstauen kann, reicht völlig aus. Dann kann man auch eine durchgehende ebene Tischplatte haben und kommt normalerweise überall ran, um seinen Spielzug selbst und im Sitzen auszuführen zu können. Universelle Neoprenmatte für den Spielbereich gekauft oder eine schlichte Baumwolltischdecke, die man bei 90 Grad in die Waschmaschine stopft und schon ist man maximal flexibel beim Abstellen der Getränke fernab des Spielbereiches. Kleiner Würfelteller, Kartenhalter und stapelbare Ablageschälchen stellt man einfach dazu und dahin, wo man die braucht. Die sind ebenso schnell und platzsparend auch wieder weggeräumt.

Und wer jetzt immer noch meint, einen Brettspieltisch zu brauchen, dem kann ich nur ganz fest empfehlen, mal einen Nachmittag an einem solchen zu spielen und selbst zu erleben, ob man damit zufrieden ist oder eben auch nicht – von der veränderten Sitzposition, dem in den Keller nach unten greifen und dem Abstand zur eigentlichen Spielfläche. Auch um im eigenen Spielbetrieb auszutesten, welches Zubehör und welche Gimmicks man wirklich nutzt. Im Zweifel stehen auf diversen Messen ja immer einige Brettspieltische, die aktiv für Verlagsspiele genutzt werden. Alles andere ist für mich überschön gemalte Theorie und ganz viel Marketing für das Luxusprodukt Brettspieltisch.